Montag, 16. Juli 2012

Früherer BDI-Chef Henkel sieht Versagen der Eliten beim Euro


Deutsche Mittelstands Nachrichten | 14.07.12, 00:27 | 49 Kommentare

Der ehemalige BDI-Präsident Henkel wettert in London gegen Deutschland: Nur durch ein dramatisches Ereignis seien die Deutschen zu bewegen, den Euro aufzugeben. Wer sich in Deutschland heute wie er gegen den Euro stelle, solle am besten um politisches Asyl in einem anderen Staat nachsuchen.

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Themen: City, Deutschland, Diamond, Euro, Europa, Fiskalpakt, Griechenland, Henkel, JP Morgan, Libor, London, Medien, Merkel, OMFIF, Open Europe, Persson, Schäuble, Tschechoslowakei, Vaclav Klaus

Hans-Olaf Henkel, ehemaliger IBM-Manager und ehemaliger Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) trat am Donnerstag bei einem Frühstück neben dem Big Ben in London auf. Gemeinsam mit Mats Persson, dem Direktor des in London ansässigen Think Tanks Open Europe, wurde über die Zukunft Deutschlands in der Eurozone diskutiert. Mitveranstalter der Diskussionsrunde war die Organisation für Vermögensverwalter, das Official Montary and Financial Institutions Forum (OMFIF).


Der ehemalige BDI-Präsident Hans Olaf Henkel glaubt, dass nur ein dramatisches Ereignis den Euro zu Fall bringen kann.

Henkel wollte nicht lange um den heißen Brei herumreden. Er atmete tief durch und bedankte sich bei Moderator David Marsh für die Einladung. Henkel sagte, seit dem Moment seiner Ankunft in London fühle er sich „verjüngt“ denn im Unterschied zu seiner Heimat Deutschland herrsche in London die Vernunft. Eine gewagte Behauptung, ist doch der Veranstaltungsort weniger als zwei Meilen von der Londoner „City“ entfernt. Diese ist im Moment allerdings weniger wegen ihrer Vernunft in den Schlagzeilen, sondern eher wegen ihrer aktive Mitwirkung an der globalen Finanzmalaise (Libor-Manipulationen – hier; der berüchtigte Wal von London – hier).

Henkel sagte, auch er sei einmal von dem Euro-Projekt überzeugt gewesen. Allerdings habe er seine Meinung geändert da er gemerkt habe, dass die Politiker ihre Versprechen nicht einhalten würden, eine übergreifende Währung für Europa praktisch nicht funktionieren würde und am Ende der Euro ein System der „Ansteckung“ geworden sei.

Angela Merkel habe einen gefährlichen Kurs eingeschlagen – einen, bei dem das Gemeinschaftsprojekt „Euro“ um jeden Preis gerettet werden müsse; zur Not eben auch auf die Kosten der deutschen Steuerzahler. Am 9. Mai 2010 habe die Bundeskanzlerin laut Henkel die Brandmauer, in der Form der No-Bailout-Klausel, einfach niedergerissen. Gleichzeitig wurden drei fundamentale Gesetzmäßigkeiten über Bord geworfen – das Subsidiaritätsprinzip, der Wettbewerb und die Schuldenhaftung. Von hier an ging es steil bergab. Die deutsche Exportwirtschaft, das Aushängeschild Deutschland, funktioniere nur deshalb so ausgezeichnet, weil die Südeuropäische Wirtschaft durch den deutschen Steuerzahler mittels Importen und Zinspolitik subventioniert werde. Henkel: „Das ist einfach absurd!“

Leider hätten die deutschen Eliten kollektiv versagt. Es habe sich eine „Vier-Augen-Gesellschaft“ entwickelt. Unter vier Augen, so Henkel, höre er viele Entscheidungsträger auch in Berlin die „harte Wahrheit“ aussprechen. Damit meint Henkel die fundamentalen Schwächen der Währungsunion: Transferunion von Nord nach Süd und kein Spielraum für Währungsabwertungen in strukturell ungleichen Volkswirtschaften. In der Öffentlichkeit aber, so Henkel, würden dieselben Entscheidungsträger dann ohne Ausnahme fordern, „der Euro muss gerettet werden“. Und behaupte man das Gegenteil, solle man sich am besten gleich um „politisches Asyl“ in einem Nachbarstaat bemühen.

Die deutsche Presse, so Henkel, schweige dazu konsequent. Wie „Sklaven“ wiederhole sie die Befehle der Regierung – „der Euro muss gerettet werden, wir brauchen mehr Zentralisierung“. Henkel nannte das Beispiel der zusätzlichen Sicherheiten, die Finnland als Sonderkonditionen für die Zustimmung zum griechischen Rettungspaket zugestanden wurden. Sollte Griechenland zahlungsunfähig werden, zahle die Zeche der deutsche Steuerzahler. Henkel sagte, er könne hier nur mutmaßen – Beweise habe er keine: Er glaube jedoch, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sei bei den Verhandlungen über den finnischen Deal beteiligt, wenn nicht sogar federführend gewesen. Schäuble wolle den Euro um jeden Preis retten.

Mats Persson relativierte die harten Worte Henkels. Er sagte, die Situation sei komplizierter als mit dem bloßen Auge zu erkennen sei. Deutschland habe sich unter Aufsicht der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg ein komplexe, demokratische Struktur gegeben – um ein für alle Mal den absoluten Aufstieg eines Diktators zu verhindern. Es sei unfair, nun von den Deutschen zu fordern, sie sollten doch bitte schneller entscheiden. Deutschland dominiere, entgegen einer verbreiteten populären Meinung, Europa nicht. Nach wie vor sei Deutschland gehemmt, träte vorsichtig auf und versuche zu vermeiden, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Darüber hinaus könne Deutschland den Euro wegen seiner eigenen Staatsschulden unmöglich im Alleingang retten.

Henkel vertrat die Auffassung, Europa brauche eine Nord- und eine Süd-Eurozone. Nur so könnten Länder wie Frankreich wieder wettbewerbsfähig werden. Diese Debatte ist nicht neu, eine politische Trennung von Deutschland und Frankreich ist in der politischen Realität jedoch nicht durchzusetzen. Henkel wurde gefragt, ob es nicht schwer sei aus einer Gemeinschaftswährung zwei Währungen zu machen. Nein, er habe gerade mit Vaclav Klaus gesprochen, dieser habe bei der Aufspaltung der Tschechoslowakei auch aus einer Währung zwei Währungen gemacht. Und schließlich sei es ja auch möglich gewesen, aus 17 unterschiedlichen Währungen den einen Euro zu machen.

Henkel wies darauf hin, die Krise habe sich über die letzten zehn Jahre angebahnt. Aus dem Publikum kam der Einwand, ob man nicht abwarten solle, ob der Euro nicht vielleicht doch funktioniert. Starke Bemühungen zur Behebung der Probleme seien ja bereits in die Wege geleitet worden, Sparkurse auferlegt, die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Henkel hält von einer solchen Strategie nichts. Der Fiskalpakt sei ja schon gebrochen worden, obwohl er noch nicht einmal in Kraft getreten ist. Überhaupt sei das jetzige System absolut unbefriedigend für alle.

Um endlich zu reagieren, brauche man nach Henkels Einschätzung eine Art „Fukushima für den Euro“ – ein Ereignis, das die Politik und die Presse wachrüttelt und sie endlich die richtigen Konsequenzen ziehen lässt, bevor der „Euro totgerettet“ sei. Henkel sagte, dass unter dem Eindruck der „German Angst“ Entscheidungen beschleunigt werden. Dies habe Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Beweis gestellt, als sie innerhalb von Tagen, und ohne ihre Nachbarn zu befragen, im Alleingang die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie getroffen habe. Henkel sarkastisch: „Es hätte ja ein Tsunami den Rhein herunterkommen können.“