Dienstag, 3. Juli 2012

Occupy : Offener Brief an die Bundestagsabgeordneten bezüglich Spekulation mit Nahrungsmitteln !


Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete,
ich habe mich noch nie persönlich an Sie gewendet. Heute
allerdings habe ich ein Anliegen, das weder Aufschub noch
Zurückhaltung duldet. Es geht um Spekulation mit
Nahrungsmitteln, um Menschenrechte, um
Politikverständnis und um: Sie.
Ja, es sind mehr als nur ein paar Zeilen, die ich Sie bitte zu
lesen. Die Zeit, die Zeit! Ich weiß — aber ich denke, es ist
höchste Zeit, dass wir miteinander reden. Warum, das
werden Sie erkennen. Doch der Reihe nach:
Spekulation mit Nahrungsmitteln
Immer noch ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln in
unserem Land offiziell legal. In den letzten Monaten gab es
zwar verschiedene Anträge im Bundestag zu dem Thema,
aber es war so wie immer: Sämtliche Anträge der Opposition
wurden abgelehnt.


Der anhängige Antrag aus den Reihen der
Regierungsfraktionen ist eher zurückhaltend und verweist
relativ unverbindlich auf die europäische Ebene. Eine
umgehende Klärung derart, dass Spekulation mit
Nahrungsmitteln in unserem Land auch nur eingedämmt
wird, ist nicht zu erwarten.
Meine Damen und Herren, ich verstehe das nicht. Die
Folgen dieser Spekulation muss ich Ihnen nicht erläutern.
Sie wissen, dass diese „Finanzprodukte“ Hunger und Tod in
die Welt bringen, dass wenige Menschen profitieren — auf
Kosten der Ärmsten.
Warum darf in unserem Land trotzdem nach wie vor mit
Nahrungsmitteln spekuliert werden?
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Menschenrechte
Sie wissen ebenfalls, liebe Bundestagsabgeordnete, dass die
Bundesrepublik im Jahr 1973 den Internationalen Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-
Sozialpakt) ratifiziert hat. Darin verpflichtet sich die
Bundesrepublik Deutschland, das „grundlegende Recht
eines jeden, vor Hunger geschützt zu sein“ zu respektieren.
Es handelt sich bei dieser Regelung um ein Menschenrecht.
Durch den Handel mit „Finanzprodukten“, die auf
Spekulation mit Nahrungsmitteln basieren, wird in unserem
Land täglich gegen den UN-Sozialpakt verstoßen. Auch das
wissen Sie.
Keine politische Partei, kein Politiker sieht nach meiner
Wahrnehmung die Nahrungsmittelspekulation heute
gelassen oder verharmlost deren Auswirkungen über
Gebühr. Wir sind uns also im Großen und Ganzen einig:
Spekulation mit Nahrungsmitteln gehört zumindest
eingedämmt, denn sie ist mitverantwortlich für gestiegene
Nahrungsmittelpreise und somit den Hunger auf der Erde.
Prima: Konsens!
Warum sehe ich dann keine Ergebnisse? Aus welchem
Grund wird es in unserem Land trotzdem toleriert, dass
täglich gegen Menschenrechte verstoßen wird?
Sie
Im Rahmen der Petition gegen Spekulation mit
Nahrungsmitteln haben wir von Occupy:Occupy 50
Parteiorganisationen und Bundespolitiker zu diesem Thema
angefragt. Gerade mal zwölf haben geantwortet. Können Sie
mir das erklären?
Möglicherweise liegt hier der Knackpunkt: Sie und ich
haben ein unterschiedliches Verständnis von dem, was getan
werden muss. Also muss ich den Punkt erweitern auf:
Sie und ich — unterschiedliches Politikverständnis?
Lassen Sie mich die Situation einmal von einer anderen
Seite her angehen:
Sie sind meine Vertreter. Sie wollen und sollen sich um all
die Dinge kümmern, zu denen ich in meinem Leben nicht
komme. Nun, ich verstünde gerne, wie das genau ist mit der
Sozialversicherung, den Renten, den Steuern, dem
Straßenbau, den Krippenplätzen, der Lage in Syrien und all
den anderen Dingen, mit denen Sie sich täglich
beschäftigen.
Aber, wissen Sie: Ich kann das nicht alles bewältigen, denn ich
muss mich um meinen Lebensunterhalt kümmern. Da bleibt
einfach nicht genug Zeit, um diese vielen Themen zu verstehen.
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Aus diesem Grund finde ich es eine gute Sache, dass wir
Volksvertreter wählen, die sich in die Materie einarbeiten,
die anstehenden Aufgaben erledigen, um das Beste für unser
Gemeinwesen zu erreichen. Sie sind einer dieser
Volksvertreter und nicht nur ich hoffe, dass Sie Ihre Arbeit
bestmöglich erledigen.
Unsere Gesellschaft stellt Ihnen enorme Mittel zur
Verfügung, damit Sie diese Aufgaben inhaltlich und formal
meistern können. Sie selbst sind zudem finanziell recht gut
abgesichert: Sie erhalten ganz ordentliche Bezüge und über
Ihre Altersvorsorge müssen Sie sich im Regelfall weit
weniger Sorgen machen als ich.
Ich finde, dass diese Aufgabenteilung eine gute Idee ist. Ich
meine sogar, dass sie eine ausgezeichnete Grundlage ist,
damit Sie Ihre Arbeit zumindest befriedigend erledigen
können, oder sehen Sie das anders?
Irgendwie fühle ich mich bei all dem auch als Ihr
Arbeitgeber, denn als Wähler habe ich Sie beauftragt, quasi
eingestellt, als Steuerzahler sorge ich für die finanzielle
Grundlage Ihrer Arbeit. Ich sehe mich also auch in der
Verantwortung dafür, dass Sie Ihre Arbeit gut machen. Ich
nehme an, das können Sie akzeptieren.
Meine Einschätzung
Nun habe ich in den letzten Monaten zumindest im Bereich
der Spekulation mit Nahrungsmitteln nicht das Gefühl, dass
Sie Ihre Arbeit ordnungsgemäß erledigen.
Ich sehe keine Taten, meine verehrten Volksvertreter. Ich
sehe Verweise auf die europäische Ebene, ich sehe
Fingerzeige auf den politischen Gegner, der nicht mitspielt.
Ich sehe, dass der andauernde Verstoß gegen
Menschenrechte weitgehend hingenommen wird.
Ich sehe keinen echten Willen, dieses Thema schnell und
vernünftig im Sinne Ihrer Auftraggeber — dem Souverän —
zu regeln.
Ihr Auftrag
Laut einer Forsa-Umfrage vom November 2011 lehnen 84 %
der Bundesbürger Spekulation mit Nahrungsmitteln ab. Ist
es eine falsche Wahrnehmung, wenn ich darin einen Auftrag
an den Bundestag sehe? Nehme ich da etwas verkehrt wahr?
Wie, verehrte Volksvertreter, können Sie es zulassen, dass
die Menschenrechte durch unser Land verletzt werden? Wie,
verehrte Volksvertreter, können Sie es zulassen, dass
aufgrund von Finanzprodukten, die in unserem Land auch
von deutschen Unternehmen angeboten werden, Menschen
hungern? Wie können Sie die Meinung von 84 % Ihrer
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Auftraggeber ignorieren? Was ist Ihre Erklärung dafür?
Sie können nicht anders? Ihnen sind die Hände gebunden?
Die Entscheidungen werden ganz woanders gefällt? Sie sind
ja nur in der Opposition? Diese „Erklärungen“ höre und lese
ich immer wieder. Wissen Sie: Ich glaube das nicht.
Ich habe Sie beauftragt, die Geschicke unserer Gemeinschaft
zu lenken. Ich, als Ihr Auftraggeber, halte es für
unerträglich,
● dass aus unserem Land heraus durch Spekulation mit
Nahrungsmitteln Hunger und Tod verbreitet werden,
● dass Sie es zulassen, dass aus unserem Land heraus das
Menschenrecht auf Nahrung verletzt wird und
● dass Sie in dieser Frage weitgehend untätig sind.
Speziell Sie, die Mitglieder der gewählten Regierung,
sind verantwortlich dafür,
● dass der Missbrauch wirtschaftlicher Macht zu Lasten
der Ärmsten nicht eingedämmt wird und
● dass in unserem Land wissentlich und folgenlos gegen
grundlegende Menschenrechte verstoßen wird.
Und Sie, die Mitglieder der Opposition, sind
verantwortlich dafür, dass
● dieses Thema nicht massiv in die Medien getragen wird
und
● Sie der Regierung diese Untätigkeit durchgehen lassen.
Jede Fangruppe eines Fußballvereins hat mehr Phantasie als
Sie, liebe Opposition, wenn es darum geht, die mangelhaften
Leistungen ihrer Kicker anzuprangern. Kupfern Sie doch
einfach ab, wenn Ihnen nichts besseres einfällt:
Drehen Sie der Regierungsbank für die ersten zehn Minuten
einer Sitzung demonstrativ den Rücken zu (so Sie denn
anwesend sind). Bleiben Sie die ersten zehn Minuten vor dem
Bundestag und informieren Sie die Presse darüber, was die
Menschenrechte der Regierung unserer Republik wert sind.
Es reicht nicht, wenn einzelne Politiker aufstehen und einen
untragbaren Sachverhalt beklagen. Zeigen Sie Profil,
gemeinsam! Nutzen Sie die Macht, die Ihnen verliehen wurde!
Und ich?
Ich als Wähler habe nur geringe Einflussmöglichkeiten auf
Ihr Tun. Ich möchte trotzdem auf den hier dargelegten
Missstand hinweisen, denn es geht dabei nicht um eine
Nebensache, sondern um eine unerträgliche,
lebensbedrohende Praxis, die Sie zulassen.
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Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich mich schäme, in
einem Land zu leben, in dem es so viel Überfluss gibt — aber
keine verantwortungsvolle Regierung, die den hier
geschilderten und weitgehend unstrittigen Missbrauch
wirtschaftlicher Macht eindämmen will.
Ich schäme mich für unser gesamtes Parlament. Sie haben
alle Mittel, um etwas zu bewirken, um die Spekulation mit
Nahrungsmitteln und die davon ausgehenden
Menschenrechtsverletzungen zu beenden.
Wenn Sie das anders sehen, dann treten Sie zurück — denn
in diesem Fall ist unser Pakt hinfällig: Die Mittel, die wir
Bürger aufbringen, damit Sie unser Haus in Ordnung halten,
sind dann in den falschen Händen.
Was also tun?
Ich werde am 29. Juni 2012 um 14 Uhr vor dem
Reichstagsgebäude auf dem Platz der Republik sein. Dort
möchte ich Ihnen mehr als 25.000 Unterschriften von
Menschen übergeben, die Spekulation mit Nahrungsmitteln
ablehnen. Diese Unterschriften werde ich bis dahin in einem
Hungermarsch nach Berlin getragen haben.
Was Sie in dieser Sache tun werden, hängt bis zur nächsten
Wahl natürlich von Ihnen ab. Vielleicht konnte ich Ihnen
mit diesem Brief aber einen Denkanstoß geben?
Mit freundlichem Gruß
Frank Jermann, Völzberg
Über den Hungermarsch
Details auf der Webseite von Occupy:Occupy
http://occupy-occupy.de/hungermarsch/
Über die Petition
Occupy:Occupy und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung
(KAB) haben fast zeitgleich zwei Petitionen gegen Spekulation
mit Nahrungsmitteln hervorgebracht. Da diese Petitionen
inhaltlich identische Forderungen stellen, habe die
Organisationen frühzeitig ein gemeinsames Vorgehen und eine
Partnerschaft beschlossen.
In der dreimonatigen Laufzeit haben mehr als 12.000
Menschen die Petition aus dem Occupy-Umfeld
unterzeichnet. Noch mehr Unterschriften konnte die KAB
sammeln. Bis zum 15. Juni werden wir also mehr als 25.000
Unterschriften gesammelt haben.
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Petition von O:O
http://occupy-occupy.de/die-petition/
Petitionsseite der KAB
http://www.kab-bamberg.de/kab/lebensmittelspekulation.html
Über Occupy:Occupy
Die im Internet vernetzte Gruppe Occupy:Occupy ist eine
Privatinitiative. Sie vereint Menschen aus der ganzen
Bundesrepublik. Die Gruppe ist politisch unabhängig. Sie
finanziert sich selbst und wird nicht durch eine Partei oder
eine durch Parteien gestützte Organisation finanziell
unterstützt. Spenden werden weder gesammelt noch
akzeptiert.
Im Internet ist die Gruppe mit einem eigenen Web-Auftritt
zu finden: http://occupy-occupy.de/6/6

Goodbye Bargeld ! ! ! Reportage 3sat