Samstag, 13. Oktober 2012

Die Libor-Affäre



1. Worum geht es beim Libor- und Euribor-Zinssatz - und wie wird er errechnet?
Der Libor ist ein täglich vom britischen Bankenverband BBA errechneter
Zins, an dem sich Geldhäuser rund um den Globus orientieren. Seit 1986
befragt der BBA in London ansässige Banken, zu welchem Zins sie sich
untereinander Geld leihen würden. Aus den Zahlen werden die höchsten und tiefsten Werte gestrichen, um Manipulationen zu vermeiden. Aus den
übrigen Zahlen wird dann ein Mittelwert gebildet. Der daraus
resultierende Satz für Laufzeiten von bis zu einem Jahr und für die
gängigsten Währungen ist der wichtigste Indikator für die
Liquiditätslage am Interbankenmarkt. Damit war der Libor eines der
Krisenbarometer während der Finanzkrise: je höher der Satz, desto größer das Misstrauen des Marktes gegenüber einer Bank.

Der Libor dient aber auch als Referenz für Finanzprodukte - von der
komplexen Übernahmefinanzierung bis zur einfachen Hypothek. Am Libor
hängen Finanzprodukte im geschätzten Wert von 350 bis 550 Billionen
Dollar. Während der Libor für Dollar-Geschäfte besonders wichtig ist,
ist es der Euribor (Euro InterBank Offered Rate) für den Euro. Er wurde
1999 mit Einführung des Euros ins Leben gerufen. 43 Banken melden dabei
ihre Zinssätze nach Brüssel, wo der Kurs ähnlich wie beim Libor
berechnet wird.

2. Welches Interesse hatten Banken und Regierungen, den Wert zu manipulieren?
Zwei Vorwürfe stehen im Raum: Zum einen sollen sich die Händler einer Reihe
von Banken von 2005 bis 2007 durch die Manipulation des Euribor
bereichert haben. Ihnen wird vorgeworfen, eine Art Kartell gebildet zu
haben, um die Sätze in eine Richtung zu lenken, die den Wert ihrer
eigenen Derivatepositionen steigerte. Eines der Kartelle soll von der
britischen Großbank Barclays (Bild: Protest vor einer Londoner Filiale)
organisiert worden sein, ein anderes von der Schweizer UBS. „Heute
bräuchten wir einen ziemlich niedrigen Satz bei den
Dreimonats-Laufzeiten, sonst kostet uns das ein Vermögen“, heißt es in
der E-Mail eines beschuldigten Barclays-Händlers. In diese
Manipulationen ist auch die Deutsche Bank verwickelt.

Zum anderen sollen einige der damals am Libor-Fixing beteiligten Banken
in den Krisenjahren 2007 und 2008 systematisch zu niedrige Zinsen
gemeldet haben, um die verunsicherten Märkte zu beruhigen und Zweifel an der Solidität der Banken zu zerstreuen. Hier mischten Barclays-Chef Bob Diamond und der Chefinvestmentbanker Jerry del Missier mit. Eine
Gesprächsnotiz scheint anzudeuten, dass auch die Bank of England die
Vorgänge geduldet haben könnte.

3. Welche Folgen haben die Manipulationen für Sparer und Kreditnehmer?
Der Interbankenzins Libor gilt als wichtige Referenz für viele
Finanzprodukte. Der Zinssatz variabler Kredite ist meist an den
Geldmarktsatz gekoppelt. Variable Kreditzinsen sind vor allem bei
Firmenkrediten üblich. „In Ländern wie Großbritannien, Spanien oder
Österreich sind aber auch die Zinsen für Baukredite häufig an einen
Geldmarktsatz gekoppelt“, sagt Thomas Meissner, Zinsanalyst der DZ Bank. Die Preise für Derivate, mit denen man sich gegen Zinsänderungs- oder
Währungsrisiken absichert, sind ebenfalls oft an den Libor gebunden.

„Für Euro-Verträge ist der Euribor der wichtigere Geldmarktsatz. Aber
für Währungen wie den Dollar oder den Schweizer Franken ist der Libor
sehr bedeutsam“, sagt Meissner. Das heißt, dass Unternehmen aus dem
Euro-Raum meistens mit dem Libor zu tun haben, wenn sie sich in
Fremdwährungen verschulden oder Zinsrisiken in fremden Währungen
absichern. Es gibt Gewinner und Verlierer der Manipulationen: „Wenn der
Libor zu niedrig angesetzt wurde, dann ist das ein Vorteil für
Kreditnehmer, deren Darlehen an den Geldmarktsatz gekoppelt sind“, sagt
Falko Fecht, Professor für Financial Economics an der Frankfurt School
of Finance. Dafür erhalten Einleger geringere Sätze, denn die
Konditionen für Tagesgeld orientieren sich oft an Geldmarktsätzen.

4. Warum wird der Zinssatz von Privatbanken bestimmt und nicht von Notenbanken?
Der Libor ist nicht als offizieller Referenzsatz entstanden: Er geht auf
eine Initiative der privaten Kreditwirtschaft zurück. Erst im Laufe der
Zeit, als immer mehr Kredit- und Derivateverträge auf den Wert Bezug
nahmen, erreichte er seine heutige Bedeutung. Der Libor und sein
Euro-Pendant Euribor sollen zeigen, zu welchem Preis sich Banken Geld
leihen. Das wissen aber nur die Banken selbst. „Die meisten
Geldmarktgeschäfte werden quasi per Handschlag vereinbart“, erläutert
Thomas Meissner, Zinsanalyst der DZ Bank. „Es gibt bislang keine
zentrale Clearing-Stelle, die diese Transaktionen erfassen könnte.“

Deshalb gibt es bislang keine unabhängige Stelle wie zum Beispiel eine
Notenbank, die ohne Mitwirkung der Banken den „richtigen“ Geldmarktsatz
ermitteln könnte. Prinzipiell ist es aber durchaus möglich, diese
Geschäfte zentral zu erfassen. „Da es hierbei insgesamt um
außerordentlich große Volumina geht, wäre dies allerdings sehr
aufwendig“, sagt Meissner. Gegen eine solche Lösung spricht laut
Bankenverband BBA, dass die Banken, die ihre Geldmarkt-Sätze zur
Ermittlung des Libors melden, solche Transaktionen gar nicht täglich
tätigen. Doch auch dieses Problem lässt sich lösen, indem man die Gruppe der Libor-Banken vergrößert, sagt Falko Fecht, Professor an der
Frankfurt School of Finance.


5. Welche Ideen und Reformvorschläge könnten helfen, das Referenzsystem auf eine seriöse Grundlage zu stellen?Der Skandal um die Libor-Manipulation hat viele Opfer gefordert, am Ende
könnte der Interbankenzins selbst dazugehören. Am 9. September wollen
die obersten Finanzaufseher bei einem Treffen in Basel beraten, ob er
reformierbar ist oder abgeschafft werden soll. „Wenn der Libor nicht
reformiert werden kann, gibt es verschiedene Alternativen“, sagte der
kanadische Notenbankchef Mark Carney, der dem einflussreichen
Finanzstabilitätsrat vorsitzt. Es sei denkbar, dass die
Berechnungsgrundlage strukturelle Mängel aufweise, die nicht beseitigt
werden könnten.

Eine entscheidende Schwäche des Libor ist, dass die von den Banken
gemeldeten Sätze nicht nur auf abgeschlossenen Transaktionen beruhen,
sondern auch auf Schätzungen. Das gilt vor allem für die Jahre nach
2007, als die Banken untereinander so misstrauisch waren, dass sie sich
kaum noch Geld liehen. Professor Peter Hahn von der Cass Business School
 in London meint, dass die Finanzwelt ein neues Referenzsystem für
kurzfristige Marktzinssätze dringend braucht. Um Interessenkonflikte zu
vermeiden, sollten die Banken künftig grundsätzlich außen vor bleiben.
Das neue System sollte stattdessen auf den Zinsen beruhen, die
Großinvestoren wie Staatsfonds für ihre kurzfristigen Anlagen erhalten,
fordert Hahn.

Quelle : Hier finden den Artikel im Handelsblatt