Mittwoch, 13. Juni 2012

"Unsere" Politiker in sympatischer Bild-Aufnahme



Die Tagesschau im Gespräch mit Michael Efler ( Mehr Demokratie e.V.) : Wahlrecht verzerrt Wahlergebnisse

Verhandlung über das Bundestagswahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht


Am Dienstag, den 5. Juni 2012 fand die mündliche Verhandlung über das Bundestagswahlrecht vor dem Bundesverfassungsgericht statt. Mit dabei sind die Vertreter/innen von Wahlrecht.de und Mehr Demokratie e.V. Mehrere Tausend Menschen haben die Verfassungsbeschwerde gegen das von der Koalition verabschiedete Wahlrecht unterstützt. Die Koalition hatte Ende 2011 gegen die Stimmen der Opposition ein Bundestagswahlrecht beschlossen, das an Überhangmandaten und damit am negativen Stimmgewicht festhält. Mehr Informationen gibt es hier: www.mehr-demokratie.de/wahlrecht-klage.h tml

Alle WDR-audio-Aufzeichnungen zum Nachhören finden Sie durch einen Klick hier

post scriptum :

ø Überhangmandate:
Die auch weiterhin bestehenden Überhangmandate führen dazu, dass einzelne Wählerstimmen je nach Partei und Bundesland unterschiedliches Gewicht haben. Dieses Phänomen wird von Wahlrecht.de und Mehr Demokratie seit Jahren kritisiert. Bisher haben es allerdings sowohl die schwarz-gelbe Koalition als auch Grüne und SPD versäumt, die Chancen auf eine Wahlrechtsreform während ihrer Regierungszeit zu nutzen. Eine Frage ist, ob es ausreicht, wenn Überhangmandate relativ unwahrscheinlich werden – wie es mit dem aktuellen Wahlrecht der Fall sein soll – oder ob sie komplett abgeschafft werden müssen. Die Position der Kläger brachte der Prozessbevollmächtige der Grünen Hans Meyer auf den Punkt: „Überhangmandate sind wie Boni für Banker – mit einem Unterschied: Die Banker bekommen die Boni trotz schlechter Ergebnisse. Die Politiker bekommen die Überhangmandate wegen schlechter Ergebnisse.“

ø Negatives Stimmgewicht:
Hier gehen die Meinungen darüber auseinander, was „Abschaffung des negativen Stimmgewichts“ überhaupt bedeutet. Wahlrecht.de und Mehr Demokratie vertreten wie die anderen Klagenden die Position, dass das Problem des negativen Stimmgewichts – das Phänomen, dass Wahlenthaltung oder das Wählen einer anderen Partei der eigentlich bevorzugten Partei nützt – auch weiter auftreten kann und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008 somit nicht umgesetzt ist. Die Gegenseite behauptet, mit dem neuen Wahlrecht das Phänomen soweit abgemildert zu haben, dass dem Urteil genüge getan sei.

ø Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit des neuen Wahlrechts:
In Deutschland wird nach einem System der personalisierten Verhältniswahl gewählt. Das heißt, es werden einerseits Personenstimmen (Erststimmen), andererseits Parteistimmen (Zweitstimmen) vergeben. Die Frage ist, wie man das Wahlsystem so gestaltet, dass der Wählerwille möglichst gut abgebildet wird, Mehrheitsverhältnisse in Bund und Ländern realistisch wiedergegeben und kleine Parteien nicht benachteiligt werden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Frage, ob unser Wahlsystem nach dem Grundgesetz als Mischung aus zwei Wahlrechten (Mehrheits- und Verhältniswahl) oder als Verhältniswahl mit Elementen des Persönlichkeitswahlrechts angelegt ist.

ø Gleichheit und Chancengleichheit der Parteien:
Das aktuelle Wahlrecht tauscht die Reihenfolge der Sitzzuteilung (im ersten Schritt werden Sitze auf die Bundesländer verteilt, im zweiten auf die Landeslisten der Parteien) und sieht eine sogenannte Reststimmenverwertung vor. Dadurch soll trotz weiterhin bestehender Überhangmandate größere Chancengleichheit unter den Parteien erreicht werden: In jedem Bundesland wird geprüft, ob eine Partei mehr Stimmen erhalten hat, als sie im Durchschnitt für die ihr zugewiesenen Sitze benötigt. Diese positiven Reste werden zusammengezählt, und den Parteien werden weitere Sitze zugeteilt. Wenn eine Partei Überhangmandate erhält, werde diese mit den Zusatzmandaten verrechnet. Darüber, ob eine solche Reststimmenverwertung sinnvoll und notwendig ist und ob dabei auch ungültige Stimmen sowie die Stimmen für Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind, mit einbezogen werden dürfen, gingen die Meinungen der Anzuhörenden auseinander. Die heftige Debatte um diesen selbst für Fachleute schwer verständlichen Aspekt des aktuellen Wahlrechts sorgte teilweise sogar für Heiterkeit im Gerichtssaal.

Unser Fazit der bis in den Abend laufenden Verhandlung:
Eine Prognose, was das Urteil angeht, können und wollen wir selbstverständlich nicht abgeben. Hoffnung macht aber die Tatsache, dass das Gericht die drei Klagen so selbstverständlich als zulässig ansah, dass über diesen Punkt nicht einmal mehr gesprochen wurde. Auch die kritischen Nachfragen der Verfassungsrichter/innen bei den Punkten negatives Stimmgewicht und Überhangmandate lassen hoffen, dass das aktuelle Wahlrecht den Segen des „hohen Gerichts“ nicht ohne Weiteres erhalten wird.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts mit Verhandlungsgliederung:http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-028.html


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