Sonntag, 19. Februar 2012

Empörung über alte und neue Kriege !

Attac als "Bestandteil der Antikriegs- und Friedensbewegung" (Frankfurter Grundsatzerklärung) gehörte zu den treibenden Kräften diese Mobilisierung, die von der New York Times zur "zweiten Supermacht" stilisiert wurde, etwas verfrüht, denn wir konnten den Überfall auf Irak nicht verhindern. Fast 9 Jahre nach dieser mörderischen "Intervention", - nach der Vernichtung von Faludscha, nach Abu Graib, nach millionenfachem Tod, Vertreibung, Leid und Elend - ziehen sich die US Kampftruppen in Schande zurück.

Auch wenn - wie der Beitrag von Joachim Guilliard zeigt - die Besatzung damit noch nicht zu Ende ist und G.W. Bush immer noch nicht als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt wurde. Dennoch ist dieser Rückzug auch ein - wenn auch sehr kleiner und verspäteter - Erfolg der globalen Anti-Kriegsbewegung, vergleichbar mit dem kleinen Beitrag der 1968er Bewegung zur Beendigung des US-amerikanischen Krieges in Vietnam.

Allerdings wirkt der imperiale Impuls fort, der zum Irak-Krieg führte. Es ging um Regime-Change, mit dem sich die USA die Kontrolle über die Ressourcen Westasiens und Nordafrikas sichern will. Die Kandidaten auf der "Achse des Bösen" werden nach und nach abgearbeitet: die NATO schaffte den Regime-Change in Lybien und setzte damit ein Exempel. Syrien und Iran werden mit Sanktionen erdrosselt, die schon im Irak zur Vorbereitung des Krieges dienten. Der Afghanistan-Krieg des NATO-Westens geht weiter. Neue Kriege unter neuen Vorwänden drohen - diesmal unter schamloser Ausnutzung der Rebellionen in einigen arabischen Ländern zur Einsetzung neuer, diesmal neoliberaler Regime. Die Situation in den arabischen Ländern ist von Land zu Land verschieden und erlaubt kein simples Schwarz-Weiß-Schema. So wird z.B. die Repression in Monarchien wie Saudi-Arabien, Marokko und Bahrein im republikanischen Europa weitgehend verschwiegen. Wir veröffentlichen einen dringenden Aufruf von Attac Marokko "zu nationaler und internationaler Solidarität gegen die Repression der Aktivisten der Bewegung vom 20. Februar".

Zu den sehr komplexen Zusammenhängen in Syrien hat sich die Friedensbewegung in mehreren Erklärungen mit je unterschiedlichen Nuancen geäußert, die wir in dieser Nummer dokumentieren. Einigkeit besteht allerdings darin, dass die Frage nuklearer Rüstung nicht nur den Iran betrifft, sondern auch Israel, das ja noch nicht einmal dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist. Und Einigkeit besteht in der Ablehnung ausländischer Interventionen. So fordert Occupy Berlin: "Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird".

Ganz bewusst hatte ja die Gründungserklärung des Weltsozialforums betont: "Wir wenden uns gegen jede Form des Imperialismus". Und in der diesjährigen Erklärung der sozialen Bewegungen von Porto Alegre heißt es: "Imperialistische Mächte benutzen ausländische Militärstützpunkte, um Konflikte zu schüren und natürliche Ressourcen zu rauben und in mehreren Ländern auch, um Diktaturen zu unterstützen. Wir verurteilen den falschen Diskurs der Verteidigung der Menschenrechte, der oft nur dazu dient, diese militärischen Besatzungen zu rechtfertigen."

Die NATO und der militärisch-industrielle Komplex der angeschlagenen Supermacht sowie die unterwürfige und per Verfassung zur Aufrüstung gezwungene EU haben nach wie vor enorm viel Macht, und sie haben noch sehr viel vor. Martin Singe analysiert, worum es geht in den neuen "verteidigungspolitischen Grundsätzen", es geht um die Nutzung der militärischen Trumpfkarte zur Absicherung von Rohstoffquellen und Einflusssphären in einer Situation, in der der Westen in der schwersten Wirtschaftkrises seit 1929 steckt.

Den ökonomischen Hintergrund der aktuellen globalen Spannungen analysiert Martin Khor (South Centre, Genf). Er sieht einen "Zusammenprall der Kapitalismen im Jahr des Drachen" und erinnert daran, dass der Westen - allerdings mit immer weniger Erfolg - nach wie vor eine Politik betreibt, die am besten mit der Parole gekennzeichnet wird: "Kicking Away the Ladder".

Für Attac Frankreich ist die erzwungene Austeritätspolitik des Fiskalpakts ungerecht, weil sie die Falschen trifft, und außerdem ist sie "ineffektiv, weil solche Maßnahmen die Rezession noch vertiefen und daher die Defizite vergrößern und damit jegliche Zunahme der ökologischen und sozialen Investitionen verhindern".

Attac Österreich beklagt die "zahnlose Schmalspurvariante" des Sarkozy-Vorschlages einer Finanztransaktionssteuer.

Aus Griechenland hält Theodoros Paraskevopoulos ein Plädoyer für eine völlig andere Integration Europas: "Das Referendum hatte Erpressungscharakter: Wenn Ihr nicht zustimmt, gehen wir pleite, und es können keine Renten mehr bezahlt werden; das impliziert die unwahre Behauptung, dass die griechischen Steuereinnahmen nicht für die laufenden Ausgaben reichen. Sie reichen aber durchaus, wenn man aufhört, die Staatsschuld zu bedienen".

Jürgen Klute stellt zu "Merkozys" Fiskal-Pakt fest, dass er nicht nur - undemokratisch - am Europa-Parlament vorbei entschieden wurde, sondern auch inhaltlich völlig falsch ist: "Eine antizyklische Konjunkturpolitik wird mit dem Fiskal-Pakt so gut wie unmöglich gemacht. Eine wirtschaftspolitische, steuerpolitische und sozialpolitische Koordinierung auf EU-Ebene, die für das Funktionieren einer Währungsunion erforderlich ist, ist nicht Bestandteil des Fiskal-Paktes".

Sándor Horváth beschreibt, wie in Ungarn die rechtskonservative Fidesz-Regierung in einem umfassenden Angriff auf die eigene Bevölkerung das vorauseilend durchführt, was die Troika in Griechenland exekutieren läßt. "Nach seiner neuen Verfassung ist Ungarn keine Republik mehr, das Wort wurde ersatzlos gestrichen, das Land trägt von nun an den schlichten Namen Ungarn.Die Nation wird ethnisch und christlich definiert".

Ist ein rechtspopulistischer Backlash das, was Europa bevorsteht?
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Wir bedanken uns für die Übersetzungen durch die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von coorditrad!



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Die Redaktion dieser Nummer: Marie-D. Vernhes und Peter Strotmann (Attac Deutschland)
Online-Fassung: Barbara Waschmann (Attac Österreich)