Donnerstag, 5. Juli 2012

Ein Pirat zieht sich zurück - Ich gehe: Mein Rücktritt vom Amt


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© REUTERSJohannes Ponader gibt auf: Am 17. Mai demonstrierte er noch vor dem Frankfurter Römer
Mein Name ist Johannes Ponader. Ich bin von Beruf Autor, Regisseur, Schauspieler, Theaterpädagoge. Ich bin seit 2010 Mitglied der Piratenpartei. Am 29. April 2012 werde ich zum ihrem politischen Geschäftsführer gewählt. Am 6. Mai ziehen wir in den schleswig-holsteinischen Landtag ein. Am selben Abend sitze ich bei Günther Jauch in der Sendung.
Es geht um den Erfolg der Piraten, und es geht um meine Person. Günther Jauch fragt mich: „Sie bekommen Hartz IV.“ Ich bestätige das, sage: „Ja, ich beziehe auch Sozialleistungen.“ Jauch insistiert: „Also Hartz IV.“ „Ja, ich beziehe Sozialleistungen.“ - „Hartz IV.“ - „Man nennt es ArbeitslosengeldII.“ Jauch: „Also bekommen Sie HartzIV.“
Punkt. Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei ist ein Hartz-IV-Empfänger. Am 9. Mai erhalte ich einen Brief von meinem Jobcenter, dass meine Zahlungen eingestellt werden. Grund: „Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei“. Ein Ehrenamt als Grund, meinen Anspruch auf Sozialleistungen abzuerkennen. Mehr steht dort nicht. Keine Vermutung, ich würde nun ausreichend Einkünfte erzielen. Keine Fragen. Lediglich die Möglichkeit zu widersprechen. Das Schreiben wird später für hinfällig erklärt.

Ein Anruf von Heinrich Alt

Später wird man mir auch unterstellen, ich hätte mich bei Jauch geziert, meinen ALG-II-Bezug zuzugeben. Aber Jauch musste aus einem ganz anderen Grund dreimal nachfragen: Ich lehne den Begriff „Hartz IV“ ab und weigere mich, für ein Arbeitslosengeld, das der Existenzsicherung dient, diesen Namen zu benutzen. Peter Hartz, der Namensgeber, ist wegen Untreue in 44 Fällen vorbestraft. Im Namen „Hartz“ schwingt der Verdacht mit, dass da irgendjemand andere hintergeht. Doch wer hintergeht wen? Bei Peter Hartz betrug die veruntreute Summe 2,6 Millionen Euro. Davon könnte man einem Menschen 6948 Monate lang den aktuellen ALG-II-Regelsatz bezahlen, das sind 579 Jahre, oder drei Menschen lebenslang ein Grundeinkommen von knapp 1000 Euro.
Wenige Tage nach der Sendung erhält Bernd Schlömer, Parteivorsitzender der Piraten, einen Anruf von Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Er fragt, warum die Partei mich nicht bezahlen könne, deutet an, dass das Jobcenter mich härter anpacken müsse, wenn öffentlicher Druck entsteht. Er spricht von Eingliederungsmaßnahmen und Sanktionen. Später, als Journalisten nachfragen, wird Alt leugnen, dass ich der Grund für diesen Anruf war, und statt dessen ein generelles Interesse an der Piratenpartei als Grund angeben.
Wieso bricht ein Vorstandsmitglied der Agentur für Arbeit das Sozialgeheimnis? Wieso ruft er nicht bei mir selbst an? In was für einem Land leben wir, wenn Entscheidungen einer Sozialbehörde von öffentlichem Druck abhängig gemacht werden? Ich will von Bernd Schlömer wissen, was in dem Gespräch genau gesprochen wurde. Bernd kann mich im Groben informieren. Doch Alt hat sich sicherlich exaktere Notizen gemacht. Also rufe ich in Nürnberg an. In der Vermittlung werde ich angeschnauzt, ob ich mich beschweren wolle? Nein, ich möchte zu Herrn Alt durchgestellt werden. Noch mitten im Satz finde ich mich in der Warteschleife. Heraus komme ich in der Beschwerdestelle. Worüber ich mich beschweren wolle, fragt mich das freundliche Gegenüber. Über nichts, ich wollte ins Vorzimmer von Herrn Alt. Da sei ich falsch, und leider könne er mich nicht weiterstellen.

Wenn der Prüfdienst klingelt und man seine Rechte kennt

Bei meinem zweiten Anruf melde ich mich als politischer Geschäftsführer der Piratenpartei. Prompt werde ich durchgestellt. Herr Alt jedoch ist nicht zu sprechen. Ich bitte um Rückruf. Der kommt auch nach Tagen nicht. Statt dessen meldet sich einige Zeit später der Leiter meines Jobcenters. Er sagt mir, Herr Alt habe ihn gebeten, sich bei mir zu melden. Vom Inhalt des Gesprächs kann er mir jedoch nicht viel sagen, Herr Alt habe mit ihm nicht persönlich gesprochen.
Mittlerweile bin ich in München, arbeite für eines meiner beruflichen Projekte. Der Spiegel wird später schreiben, dass ich in diesen Tagen „ausnahmsweise“ mein Geld selbst verdiene. Ausnahmsweise, das ist in den letzten zweieinhalb Jahren zwei Drittel der Zeit. In diesem Zeitraum habe ich zwanzig Monate lang Geld verdient, Steuern bezahlt, und den Rest der Zeit Arbeitslosengeld bezogen.
Der Spiegel wird später in einer Pressemitteilung suggerieren, ich hätte Honorare nicht angeben wollen, sei darüber vom Jobcenter abgemahnt worden. Im Medienhinweis schwebt der Vorwurf noch subtil zwischen den Zeilen. Die Springerpresse titelt: „Hartz-IV-Pirat erschlich sich Stütze“. Erst nach einer Klarstellung durch mich ändert sich die Überschrift. Hunderte von Tageszeitungen drucken die Meldung unkritisch nach, nur wenige Journalisten hinterfragen sie.

Ohne die obligatorische Belehrung

Zwei mal war der Prüfdienst der Bundesagentur schon bei mir. Beide Male wurden meine Grundrechte mit Füßen getreten. Eine Prüfung durch den Außendienst darf nur erfolgen, wenn es einen Anfangsverdacht auf Leistungsmissbrauch gibt, und auch dann nur, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. In meinem Mietvertrag steht eine falsche Angabe bezüglich meiner Warmwasserversorgung. Ich stehe im Verdacht, 8 Euro monatlich zu Unrecht zu beziehen. Eine einfache Nachfrage bei mir und eine Bestätigung des Vermieters könnte den Fehler aufklären. Statt dessen steht der Prüfdienst vor der Tür.
Ich frage nach dem Grund. Mir wird der Boiler genannt. Tatsächlich soll der Prüfdienst auch die Zahnbürsten zählen, feststellen, ob ich tatsächlich alleine in der Wohnung wohne - das geht aus dem schriftlichen Prüfauftrag hervor, den ich mir zeigen lasse. Die Prüfer lügen mich also an. Auch sonst wirkt es, als hätten die Prüfer die entsprechende Durchführungsanordnung der Bundesagentur noch nie zu Gesicht bekommen. Sie „vergessen“ die obligatorische Belehrung über meine Rechte, bevor sie die Wohnung betreten. Einem gemeinsamen Protokoll - worauf ich einen Anspruch habe - stimmen sie erst zu, weil ich ihnen andernfalls den Zugang zur Wohnung verwehre. Ich habe umgehend Antrag auf Akteneinsicht gestellt, um das tatsächliche Protokoll zu Gesicht zu bekommen. Der Antrag wurde bis heute nicht bearbeitet.

Welche Arbeit ist Prostituierten zumutbar und wie viel davon?

Dass die Jobcenter sich nicht an die Vorschriften halten, die für ihren Bereich gelten, ist an der Tagesordnung. Die Mitarbeiter sind oftmals auf Grund der vielen Änderungen überfordert. Zudem werden sie unter enormen Druck gesetzt. Morgens müssen sie sich erst Videobotschaften aus Nürnberg ansehen, bevor sie sich in ihre Rechner einloggen können - ein Abbruch oder Vorspulen ist nicht möglich. Wer die Quoten nicht erfüllt, fliegt raus, und kann sich ein halbes Jahr später auf der anderen Seite des Schreibtisches wiederfinden. Die Sozialgerichte platzen vor Klagen, die Wartezeiten auf Gerichtstermine sind lang. Gut die Hälfte der Klagen ist erfolgreich. Es handelt sich also beileibe nicht um Querulanten, sondern um Menschen, die für ihre Rechte einstehen.
Die Jobcenter teilen ihre Kunden in mehrere Kohorten ein: arbeitsmarktnah, arbeitsmarktfern, nicht vermittelbar. Doch es gibt auch eine inoffizielle Kategorie: Kunden, die ihre Rechte kennen. Sie kommen oft zu zweit aufs Amt, begleiten sich gegenseitig. Insider berichten, das seien etwa zwei Prozent der Kunden. „Wären es fünf bis zehn Prozent“, so ein Insider, „könnten wir einpacken“.

Freiwild für das Jobcenter

Die Mitarbeiter sollen unterstützen und gleichzeitig entscheiden sie über die weitere Förderung eines Kunden. Selten sind sie Kenner der Branchen, bis heute sind die Jobcenter organisiert wie Einwohnermeldeämter: Die Kunden werden nach Alphabet zugeteilt. Je spezifischer das Berufsfeld, um so weniger können die Mitarbeiter kompetente Unterstützung anbieten. Warum nicht ein Mitarbeiter die Selbständigen betreut, einer die Künstler, einer die Handwerker - man weiß es nicht.
Grundsätzlich ist jede Arbeit zumutbar. Wenn mich ein rechtsextremistisches Magazin auffordert, dort einen Artikel zu veröffentlichen, muss ich das theoretisch annehmen. Am krudesten zeigt sich die Logik im Umgang mit Prostituierten. Die entsprechende Anordnung legt fest, dass Prostituierte nicht zur Ausübung der Prostitution gezwungen werden dürfen, wenn sie der Prostitution grundsätzlich nicht mehr nachgehen wollen. Im Umkehrschluss heißt das: Möchte jemand der Prostitution zeitweise selbstbestimmt nachgehen, wird er für das Jobcenter zum Freiwild, es sei denn, er begeht Sozialbetrug.

Kein Anlass zur Sanktionierung

Bei meinem letzten Gespräch im Jobcenter lege ich meine Einnahmen des letzten Monats vor. Gut 1800 Euro habe ich verdient, genug, um mit den Leistungen mehr als einen Monat auszusetzen. Mein Arbeitsvermittler ist völlig überfordert, sich auf die neue Situation einzulassen. Man hat jetzt einen detaillierten Integrationsplan für mich ausgearbeitet; das lese ich zumindest in der Presse. Während mein persönlicher Ansprechpartner rechtswidrig sein Programm durchzieht und meine alte Eingliederungsvereinbarung einseitig und vorzeitig außer Kraft setzen will, plaudert die Sprecherin der Arbeitsagentur öffentlich über meinen Fall, ohne dass ich sie je vom Sozialgeheimnis entbunden hätte.
Es habe bislang keinen Anlass gegeben, mich zu sanktionieren, sagt sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Wo kommen wir hin, wenn jeder Journalist in Nürnberg nachfragen kann, ob ein Kunde der Arbeitsagentur schon einmal sanktioniert wurde oder nicht?
So wie es aussieht, werde ich in Kürze genug Einkommen haben, um vom Jobcenter unabhängig zu sein. Bis dahin wollen mich Freunde unterstützen. Nun ist ein Sprung ins Ungewisse angesagt, wie ihn viele gehen, die die Gängelung durch die Jobcenter nicht mehr ertragen und freiwillig auf Sozialleistungen verzichten. Ich verlasse das Amt, um frei zu sein. Das Arbeitsamt. Nicht mein Amt als politischer Geschäftsführer.