Samstag, 26. Mai 2012

Piratenpartei äußert sich zu Grundrechtsfragen von Peter Petersen wie folgt schriftlich per mail


Posted: 25 May 2012 12:40 PM PDT
Am 23. Mai 2012 jährte sich das Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes schon zum 63. Mal. Anlass genug, um die inzwischen in drei Landtagen in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen Piratenpartei hinsichtlich ihrer Auffassung, was den Schutz und die Wirksamkeit der Freiheitsgrundrechte anbelangt, die im Bonner Grundgesetz unverbrüchlich ala Abwehrrechte des einzelnen Bürgers gegen den Staat und seine Institutionen unverletzlich verankert sind, zu befragen. Wie immer hat dieses in bewährter Manier der Journalist Peter Petersen erledigt. Sowohl der Bundesvorstand als auch alle Landesvorstände wurden per mail wie folgt angeschrieben.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Unterzeichnende ist freier Journalist und arbeitet mit Blick auf den 23.05.2012, dem 63. Jahrestag des Bonner Grundgesetzes als ranghöchste Rechtsnorm der Bundesrepublik Deutschland derzeit diesbezüglich themenbezogen. Beim Blick in das Parteiprogramm der Piraten sind folgende Zitate auffällig:
“Die digitale Revolution ermöglicht der Menschheit eine Weiterentwicklung der Demokratie, bei der die Freiheit, die Grundrechte, vor allem die Meinungsfreiheit sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten jedes Einzelnen gestärkt werden können. Die Piratenpartei sieht es als Ihre Aufgabe an, die Anpassung der gelebten Demokratie in der Bundesrepublik an die neuen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts zu begleiten und zu gestalten.”
“Eine möglichst große und sinnvolle Gewaltenteilung im Staat erachten wir Piraten als absolut notwendig. Gerade die Unabhängigkeit der Judikative, vor allem des Bundesverfassungsgerichtes, gilt es zu stärken und zu fördern, da es sich mehrfach als Schützer der Grundrechte der Einzelnen vor Legislative und Exekutive erwiesen hat.”
“Im Gegensatz zu Bevormundung ist es die Aufgabe des Staates, die Grundrechte des Einzelnen zu achten und zu wahren und ihn vor Grundrechtseinschränkungen, auch gegenüber der Mehrheit, zu schützen. Die Freiheit des Einzelnen findet dort seine Grenzen, wo die Freiheit eines anderen unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.”
Aufgrund Ihrer persönlichen Biographie, die auf der Internetseite unter amtierender Vorstand veröffentlicht ist, sind Sie sicherlich persönlich mit dem Inhalt und der Wirkweise des Bonner GG, insbesondere was die Wirkweise der Freiheitsgrundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat und seine Institutionen anbelangt, bestens bewandert.

Daher bittet Sie der Unterzeichnende, ihm die folgenden Fragen zu beantworten:
1. Welche Bedeutung messen Sie bzw. die Piratenpartei als ganzes dem Bonner Grundgesetz 63 Jahre nach dessen Inkrafttreten als ranghöchste Rechtsnorm der Bundesrepublik Deutschland heute noch zu?
2. Wie ist es aus Ihrer persönlichen aber auch aus Sicht der Piratenpartei derzeit um den persönlichen Schutz der Freiheitsgrundrechte des einzelnen Bürgers bestellt?
3. Ist Ihnen persönlich eventuell auch beruflich bekannt, dass ein Großteil bundesdeutscher Amtsträger seit dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes straffrei gestellt geblieben ist, da am 15.06.1943 der Straftatbestand des Amtsmissbrauches aus dem damaligen Strafgesetzbuch getilgt wurde, er bis heute auch nicht wieder eingeführt worden ist im bundesdeutschen StGB?
3a. Was gedenken Sie bzw. die Piratenpartei hier baldigst politisch zu unternehmen oder ist Ihnen bzw. der Piratenpartei an einer Änderung dieses dem Rechtsstaatsprinzip zuwider laufenden Zustandes nicht gelegen? Übrigens ist Deutschland europaweit das einzige Land, dass den Amtsmissbrauch im StGB nicht kennt.
4. Wie stehen Sie persönlich aber auch die Piratenpartei zu der Tatsache, dass die Folter entgegen Art. 1 und 4 des von der Bundesrepublik Deutschland bereits 1990 ratifizierten Übereinkommens gegen die Folter ( BGBl. 1990 I, S. 246 ) bis heute nicht als eigenständiger Straftatbestand im nationalen StGB aufgenommen worden ist?
5. Ist Ihnen bekannt oder ist es der Piratenpartei bekannt, dass Amtsträger, die zugunsten einer öffentlichen Kasse Gebühren, Steuern oder Abgaben vom einzelnen Bürger rechtswidrig erheben und dieses rechtswidrig erhobene nicht in die eigene Tasche stecken, straffrei gestellt sind gemäß § 353 Abs. 1 StGB? Das Gleiche gilt auch für eventuelle Anstifter oder Erfüllungsgehilfen eines solchen dem Rechtsstaatsprinzip zuwider laufenden Tuns von Steuern, Gebühren oder Abgabenüberhebung.
6. Ist Ihnen persönlich bzw. der Piratenpartei bekannt, dass Entscheidungen des BverfG zwar gemäß § 31 Abs. 1 GG alle dort genannten Verfassungsorgane, alle Gerichte und Behörden binden aber in den Fällen, in denen sich die Genannten nicht daran halten, dieses sanktionslos bleibt für die, die als Amtsträger oder Gesetzgeber es selbst vorsätzlich unterlassen?
6a. Gedenken Sie da etwas zum Wohle der Freiheitsgrundrechte, die damit ja ggf. leerlaufen im Einzelfall, politisch zu unternehmen?
7. Wenn ein Amtsträger heute gegen die sog. Leitnorm des Art. 1 Abs.3 GG gegenüber dem einzelnen Bürger verstößt, dann ist das quasi eine Grundrechteverletzung, denn die Freiheitsgrundrechte sind unverletzlich. Wie sehen Sie bzw. die Piratenpartei die Tatsache, dass der Verfassungsgeber 1949 gar keine Verfassungsbeschwerde im Bonner GG vorgesehen hatte, um gemäß Art. 19 Abs. 4 GG eine Folgenbeseitigung zwecks Rückabwicklung wegen Grundrechteverletzung unmittelbar vor den ordentlichen Gerichten ( auf kurzem Wege in deklaratorischer Form ) zu gewährleisten, der einfache Gesetzgeber dann jedoch ohne grundgesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum 13.03.1951 die Verfassungsbeschwerde zunächst nur im BverfGG normierte, sie dann 18 Jahre später auch noch mit einem erschwerenden Annahmeverfahren in den Art. 93 und 94 GG ( verfassungswidrig ) verankerte?
7a. Gedenken Sie hier politisch zum Wohle der Freiheitsgrundrechte des einzelnen Grundrechteträgers politisch aktiv zu werden oder halten Sie die bisherige aber erkennbar verfassungswidrige Regelung, den einzelnen sinnlos durch die gerichtlichen Instanzen zu treiben bis dann im Wege eines wider Art. 19 Abs. 4 GG stattfindenden Annahmeverfahrens vor dem BverfG auch die letzte Hoffnung auf “Heilung der gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unzulässigen Grundrechteverletzung” sich in verfassungsrechtlichem Wohlgefallen auflöst?
8. Was gedenken Sie bzw. die Piratenpartei politisch zu unternehmen, dass die grundgesetzlich absolut frei geregelte Lehre nicht dazu benutzt wird, in den Hörsälen bundesdeutschen Universitäten und Hochschulen dazu benutzt, wird um heute noch entgegen Art. 5.3.2. GG gegen die Treue zur Verfassung zu lehren? Hintergrund der Frage bildet die Tatsache, dass z.B. die Verfassungskommentare v. Mangoldt oder Maunz-Dürig noch heute die Namen derer tragen, die im Dritten Reich für den Unrechtsstaat eingetreten sind, seine Terrorziele nicht nur gebilligt, sondern auch durch aktives Tun befördert haben bis in die Zeit nach dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes, also bis heute.
9. Wie stehen Sie aber auch die Piratenpartei zu der Tatsache, dass im Art. 35 des ESM-Vertrages den dort genannten Personen nicht nur Immunität, sondern jegliche Strafverfolgung hinsichtlich dortigen Tuns zugesichert wird?
9a. Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass von den Regierungsparteien aber auch der Opposition im Deutschen Bundestag sowie dem Bundesrat beabsichtigt ist, dafür verfassungsrechtlich Sorge zu tragen, dass niemand das ESM-FinG seinem Inhalt und seiner Wirkweise nach vor dem BverfG beklagen soll können? Eine diesbezügliche Änderung des Bonner GG würde die unverbrüchliche Ewigkeitsgarantie übrigens verletzen?
10. Es steht fest, dass die verfassungsändernde Mehrheit des Bundestages und Bundesrates wider die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG das absolute Freiheitsgrundrecht des Art. 16 Abs. 2 GG mit Blick auf den sog. Internationalen Haftbefehl dahingehend geändert hat, dass man aus dem absoluten, als uneinschränkbaren Freiheitsgrundrecht eines jeden Deutschen, nicht an einen anderen Staat ausgeliefert werden zu dürfen, eingeschränkt hat, also es für zulässig erklärt hat. Dieses grundrechteändernde Instrument ist nicht von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG gedeckt gewesen. Welche politischen Konsequenzen gedenken Sie  bzw. die Piratenpartei da diesbezüglich zu ergreifen?
11. Wie stehen Sie zu der Überlegung, dass aufgrund der Leitnorm des Art. 1 Abs. 3 GG es allen Amtsträgern verwehrt ist, die Freiheitsgrundrechte in jedem Einzelfall zu verletzen, auch kein Amtsträger befugt sein kann und darf, erkennbar verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen trotzdem anzuwenden und zwar so lange, bis z.B. das BverfG ein solches erkennbar verfassungwidriges Gesetz für nichtig erklärt hat? Erkennbar verfassungswidrig ist z.B. ein Gesetz, wenn es gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, also die eingeschränkten Freiheitsgrundrechte nicht namentlich unter Angabe des Artikels im Gesetz nennt. Der Bürger soll nämlich durch dieses Zitieren der eingeschränkten Grundrechte, die ja seine Grundrechte im Einzelfall betreffen, vorgewarnt werden, der Amtsträger soll zweifelsfrei erkennen ob er darf oder nicht, nämlich bestimmte Grundrechte im Einzelfall aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Norm einschränken zu dürfen.
12. Welche Gedanken haben Sie bzw. sich die Piratenpartei zum Inhalt des Art. 146 GG bisher gemacht?
Für eine kurzfristige schriftliche Antwort sei Ihnen bereits jetzt mit Blick auf den Jahrestag des Bonner GG am kommenden Mittwoch gedankt.
Lediglich drei elektronische Betätigungsmails gingen zu den o.a. Fragen ein und der Pressesprecher des Landesverbandes der Piratenpartei verwies per mail auf die Bundesgeschäftsstelle, deren Adresse im Internet zu finden sei. Warum die Fragen nicht beantwortet wurden, entzieht sich hiesiger Kenntnis, leider. Es erweckt jedoch den Anschein, dass die Piratenpartei weder auf Landes- noch auf Bundesebene mit dem Inhalt des Bonner Grundgesetzes und dessen Wirkweise was die Freiheitsgrundrechte als Abwehrrechte des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat und seinen Institutionen anbelangt, wirklich etwa anfangen kann gegenwärtig. Bleibt zu hoffen, dass die zu vermutenden Wissenslücken in absehbarer Zeit geschlossen werden, ansonsten braucht es die Piraten in den Parlamenten nicht wirklich, denn sie würden sich dann nahtlos dort einreihen, wo seit 63 Jahren die Verfassungsunwissenheit ihr Zuhause hat.
Orginalbeitrag: http://grundrechteforum.de/id/1774
Mit freundlicher Genehmigung von Ingmar Wengel (Bundessprecher Grundrechtepartei)