© REUTERSJohannes Ponader gibt auf: Am 17. Mai demonstrierte er noch vor dem Frankfurter Römer
Mein Name ist Johannes
Ponader. Ich bin von Beruf Autor, Regisseur, Schauspieler,
Theaterpädagoge. Ich bin seit 2010 Mitglied der Piratenpartei. Am
29. April 2012 werde ich zum ihrem politischen Geschäftsführer
gewählt. Am 6. Mai ziehen wir in den schleswig-holsteinischen
Landtag ein. Am selben Abend
sitze ich bei Günther Jauch in der Sendung.
Es geht um den Erfolg der Piraten, und es geht um meine
Person. Günther Jauch fragt mich: „Sie bekommen Hartz IV.“ Ich
bestätige das, sage: „Ja, ich beziehe auch Sozialleistungen.“
Jauch insistiert: „Also Hartz IV.“ „Ja, ich beziehe
Sozialleistungen.“ - „Hartz IV.“ - „Man nennt es
ArbeitslosengeldII.“ Jauch: „Also bekommen Sie HartzIV.“
Punkt. Der politische Geschäftsführer der Piratenpartei
ist ein Hartz-IV-Empfänger. Am 9. Mai erhalte ich einen Brief von
meinem Jobcenter, dass meine Zahlungen eingestellt werden. Grund:
„Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei“. Ein Ehrenamt als
Grund, meinen Anspruch auf Sozialleistungen abzuerkennen. Mehr
steht dort nicht. Keine Vermutung, ich würde nun ausreichend
Einkünfte erzielen. Keine Fragen. Lediglich die Möglichkeit zu
widersprechen. Das Schreiben wird später für hinfällig erklärt.
Ein Anruf von Heinrich Alt
Später wird man mir auch unterstellen, ich hätte mich bei
Jauch geziert, meinen ALG-II-Bezug zuzugeben. Aber Jauch musste
aus einem ganz anderen Grund dreimal nachfragen: Ich lehne den
Begriff „Hartz IV“ ab und weigere mich, für ein Arbeitslosengeld,
das der Existenzsicherung dient, diesen Namen zu benutzen. Peter
Hartz, der Namensgeber, ist wegen Untreue in 44 Fällen
vorbestraft. Im Namen „Hartz“ schwingt der Verdacht mit, dass da
irgendjemand andere hintergeht. Doch wer hintergeht wen? Bei Peter
Hartz betrug die veruntreute Summe 2,6 Millionen Euro. Davon
könnte man einem Menschen 6948 Monate lang den aktuellen
ALG-II-Regelsatz bezahlen, das sind 579 Jahre, oder drei Menschen
lebenslang ein Grundeinkommen von knapp 1000 Euro.
Wenige Tage nach der Sendung erhält Bernd Schlömer,
Parteivorsitzender der Piraten, einen Anruf von Heinrich Alt,
Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Er fragt, warum
die Partei mich nicht bezahlen könne, deutet an, dass das
Jobcenter mich härter anpacken müsse, wenn öffentlicher Druck
entsteht. Er spricht von Eingliederungsmaßnahmen und Sanktionen.
Später, als Journalisten nachfragen, wird Alt leugnen, dass ich
der Grund für diesen Anruf war, und statt dessen ein generelles
Interesse an der Piratenpartei als Grund angeben.
Wieso bricht ein Vorstandsmitglied der Agentur für Arbeit
das Sozialgeheimnis? Wieso ruft er nicht bei mir selbst an? In was
für einem Land leben wir, wenn Entscheidungen einer Sozialbehörde
von öffentlichem Druck abhängig gemacht werden? Ich will von Bernd
Schlömer wissen, was in dem Gespräch genau gesprochen wurde. Bernd
kann mich im Groben informieren. Doch Alt hat sich sicherlich
exaktere Notizen gemacht. Also rufe ich in Nürnberg an. In der
Vermittlung werde ich angeschnauzt, ob ich mich beschweren wolle?
Nein, ich möchte zu Herrn Alt durchgestellt werden. Noch mitten im
Satz finde ich mich in der Warteschleife. Heraus komme ich in der
Beschwerdestelle. Worüber ich mich beschweren wolle, fragt mich
das freundliche Gegenüber. Über nichts, ich wollte ins Vorzimmer
von Herrn Alt. Da sei ich falsch, und leider könne er mich nicht
weiterstellen.
Wenn der Prüfdienst klingelt und man seine Rechte kennt
Bei meinem zweiten Anruf melde ich mich als politischer
Geschäftsführer der Piratenpartei. Prompt werde ich durchgestellt.
Herr Alt jedoch ist nicht zu sprechen. Ich bitte um Rückruf. Der
kommt auch nach Tagen nicht. Statt dessen meldet sich einige Zeit
später der Leiter meines Jobcenters. Er sagt mir, Herr Alt habe
ihn gebeten, sich bei mir zu melden. Vom Inhalt des Gesprächs kann
er mir jedoch nicht viel sagen, Herr Alt habe mit ihm nicht
persönlich gesprochen.
Mittlerweile bin ich in München, arbeite für eines meiner
beruflichen Projekte. Der Spiegel wird später schreiben, dass ich
in diesen Tagen „ausnahmsweise“ mein Geld selbst verdiene.
Ausnahmsweise, das ist in den letzten zweieinhalb Jahren zwei
Drittel der Zeit. In diesem Zeitraum habe ich zwanzig Monate lang
Geld verdient, Steuern bezahlt, und den Rest der Zeit
Arbeitslosengeld bezogen.
Der Spiegel wird später in einer Pressemitteilung
suggerieren, ich hätte Honorare nicht angeben wollen, sei darüber
vom Jobcenter abgemahnt worden. Im Medienhinweis schwebt der
Vorwurf noch subtil zwischen den Zeilen. Die Springerpresse
titelt: „Hartz-IV-Pirat erschlich sich Stütze“. Erst nach einer
Klarstellung durch mich ändert sich die Überschrift. Hunderte von
Tageszeitungen drucken die Meldung unkritisch nach, nur wenige
Journalisten hinterfragen sie.
Ohne die obligatorische Belehrung
Zwei mal war der Prüfdienst der Bundesagentur schon bei
mir. Beide Male wurden meine Grundrechte mit Füßen getreten. Eine
Prüfung durch den Außendienst darf nur erfolgen, wenn es einen
Anfangsverdacht auf Leistungsmissbrauch gibt, und auch dann nur,
wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. In meinem Mietvertrag
steht eine falsche Angabe bezüglich meiner Warmwasserversorgung.
Ich stehe im Verdacht, 8 Euro monatlich zu Unrecht zu beziehen.
Eine einfache Nachfrage bei mir und eine Bestätigung des
Vermieters könnte den Fehler aufklären. Statt dessen steht der
Prüfdienst vor der Tür.
Ich frage nach dem Grund. Mir wird der Boiler genannt.
Tatsächlich soll der Prüfdienst auch die Zahnbürsten zählen,
feststellen, ob ich tatsächlich alleine in der Wohnung wohne - das
geht aus dem schriftlichen Prüfauftrag hervor, den ich mir zeigen
lasse. Die Prüfer lügen mich also an. Auch sonst wirkt es, als
hätten die Prüfer die entsprechende Durchführungsanordnung der
Bundesagentur noch nie zu Gesicht bekommen. Sie „vergessen“ die
obligatorische Belehrung über meine Rechte, bevor sie die Wohnung
betreten. Einem gemeinsamen Protokoll - worauf ich einen Anspruch
habe - stimmen sie erst zu, weil ich ihnen andernfalls den Zugang
zur Wohnung verwehre. Ich habe umgehend Antrag auf Akteneinsicht
gestellt, um das tatsächliche Protokoll zu Gesicht zu bekommen.
Der Antrag wurde bis heute nicht bearbeitet.
Welche Arbeit ist Prostituierten zumutbar und wie viel davon?
Dass die Jobcenter sich nicht an die Vorschriften halten,
die für ihren Bereich gelten, ist an der Tagesordnung. Die
Mitarbeiter sind oftmals auf Grund der vielen Änderungen
überfordert. Zudem werden sie unter enormen Druck gesetzt. Morgens
müssen sie sich erst Videobotschaften aus Nürnberg ansehen, bevor
sie sich in ihre Rechner einloggen können - ein Abbruch oder
Vorspulen ist nicht möglich. Wer die Quoten nicht erfüllt, fliegt
raus, und kann sich ein halbes Jahr später auf der anderen Seite
des Schreibtisches wiederfinden. Die Sozialgerichte platzen vor
Klagen, die Wartezeiten auf Gerichtstermine sind lang. Gut die
Hälfte der Klagen ist erfolgreich. Es handelt sich also beileibe
nicht um Querulanten, sondern um Menschen, die für ihre Rechte
einstehen.
Die Jobcenter teilen ihre Kunden in mehrere Kohorten ein:
arbeitsmarktnah, arbeitsmarktfern, nicht vermittelbar. Doch es
gibt auch eine inoffizielle Kategorie: Kunden, die ihre Rechte
kennen. Sie kommen oft zu zweit aufs Amt, begleiten sich
gegenseitig. Insider berichten, das seien etwa zwei Prozent der
Kunden. „Wären es fünf bis zehn Prozent“, so ein Insider, „könnten
wir einpacken“.
Freiwild für das Jobcenter
Die Mitarbeiter sollen unterstützen und gleichzeitig
entscheiden sie über die weitere Förderung eines Kunden. Selten
sind sie Kenner der Branchen, bis heute sind die Jobcenter
organisiert wie Einwohnermeldeämter: Die Kunden werden nach
Alphabet zugeteilt. Je spezifischer das Berufsfeld, um so weniger
können die Mitarbeiter kompetente Unterstützung anbieten. Warum
nicht ein Mitarbeiter die Selbständigen betreut, einer die
Künstler, einer die Handwerker - man weiß es nicht.
Grundsätzlich ist jede Arbeit zumutbar. Wenn mich ein
rechtsextremistisches Magazin auffordert, dort einen Artikel zu
veröffentlichen, muss ich das theoretisch annehmen. Am krudesten
zeigt sich die Logik im Umgang mit Prostituierten. Die
entsprechende Anordnung legt fest, dass Prostituierte nicht zur
Ausübung der Prostitution gezwungen werden dürfen, wenn sie der
Prostitution grundsätzlich nicht mehr nachgehen wollen. Im
Umkehrschluss heißt das: Möchte jemand der Prostitution zeitweise
selbstbestimmt nachgehen, wird er für das Jobcenter zum Freiwild,
es sei denn, er begeht Sozialbetrug.
Kein Anlass zur Sanktionierung
Bei meinem letzten Gespräch im Jobcenter lege ich meine
Einnahmen des letzten Monats vor. Gut 1800 Euro habe ich verdient,
genug, um mit den Leistungen mehr als einen Monat auszusetzen.
Mein Arbeitsvermittler ist völlig überfordert, sich auf die neue
Situation einzulassen. Man hat jetzt einen detaillierten
Integrationsplan für mich ausgearbeitet; das lese ich zumindest in
der Presse. Während mein persönlicher Ansprechpartner rechtswidrig
sein Programm durchzieht und meine alte Eingliederungsvereinbarung
einseitig und vorzeitig außer Kraft setzen will, plaudert die
Sprecherin der Arbeitsagentur öffentlich über meinen Fall, ohne
dass ich sie je vom Sozialgeheimnis entbunden hätte.
Es habe bislang keinen Anlass gegeben, mich zu
sanktionieren, sagt sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Wo
kommen wir hin, wenn jeder Journalist in Nürnberg nachfragen kann,
ob ein Kunde der Arbeitsagentur schon einmal sanktioniert wurde
oder nicht?
So wie es aussieht, werde
ich in Kürze genug Einkommen haben, um vom Jobcenter unabhängig zu
sein. Bis dahin wollen mich Freunde unterstützen. Nun ist ein
Sprung ins Ungewisse angesagt, wie ihn viele gehen, die die
Gängelung durch die Jobcenter nicht mehr ertragen und freiwillig
auf Sozialleistungen verzichten. Ich verlasse das Amt, um frei zu
sein. Das Arbeitsamt. Nicht mein Amt als politischer
Geschäftsführer.