November Rain: Die US-Präsidentschaftswahl oder das US-Endspiel um eine Fassade
In
Griechenland werden am Mittwoch wieder ausgedehnte Proteste gegen die
geplante neue Runde harter Sparmaßnahmen stattfinden. Massenproteste gab
und gibt es aus demselben Grund auch in anderen europäischen
Krisenstaaten, z. B. in Portugal. (1)
Währenddessen
geht es mit den jeweiligen Volkswirtschaften weiter bergab. Für
Griechenland heißt das z.B. laut griechischem Einzelhandelsverband ESEE,
dass im Zuge der Krise bereits 68.000 Geschäfte geschlossen worden sind
und innerhalb der kommenden zwölf Monate weitere 63.000 zur Aufgabe
gezwungen sein könnten. Allein in Athens Zentrum sind – Stand August
2012 – 31 Prozent aller Geschäfte verschwunden. (2)
Man
mag sich deswegen fragen wie lange es noch dauern wird, bis die
griechische Regierungskoalition aufgrund des steigenden Drucks zwischen
den Mühlsteinen „Troika“ und „Massenproteste“ aufgerieben ist. Mit immer
neuen Sparanforderungen, denen die Regierungen Griechenlands, Portugals
und anderer Länder gerecht werden sollen und einer sich dennoch weiter
verschlechternden Wirtschaftslage ist das nicht nur in Griechenland
zunehmend wieder wahrscheinlicher geworden. Daran ändern auch ein
gehebelter ESM und das Versprechen von Mario Draghi, alles für den
Erhalt des Euro zu tun, nichts. Jeder weiß das, auch wenn es nicht jeder
zugibt.
Bewegt das die Märkte? Nein, ausnahmsweise ist das nicht der Fall. Was dann?
An
den Märkten ist stattdessen das nächste Ereignis, von dem maßgebliche
Impulse erwartet werden, die US-Präsidentschaftswahl am 6. November. Und
das obwohl auch an den Märkten mittlerweile praktisch jeder weiß, dass
die expansive Geldpolitik der Fed keines der Probleme löst und auch die
US-Politik bisher keine wirksamen Konzepte und Maßnahmen gegen die vor
sich hin köchelnden Krisen gefunden hat. (3)
Es wird – diesseits und jenseits des Atlantiks – ein ums andere Mal
Zeit gekauft, aber die eigentliche Krisenbewältigung wird nicht nur
wieder und wieder verschoben, sondern zunehmend schwieriger.
Es
ist vor diesem Hintergrund interessant, dass z.B. auch die Troika den
Griechenland-Fall angeblich wegen der US-Wahl auf die lange Bank
geschoben haben soll (4)
und in Japan die Noch-Regierung von Premier Noda die versprochenen
Neuwahlen Anfang November abhalten möchte, während die Opposition auf
einen früheren Termin drängt (5).
Es wäre keine wirkliche Überraschung, wenn auch der bisher für Oktober
erwartete Parteikongress in China, auf dem sieben der neun Mitglieder
des obersten Führungsgremiums der Kommunistischen Partei Chinas
ausgetauscht werden sollen, nicht mehr vor der US-Wahl abgehalten werden
würde.
Die US-Schuldenkrise ist zwar jenes Problem,
dass gegenwärtig die meiste Aufmerksamkeit erhält. Es ist allerdings bei
weitem nicht das einzige Problem der US-Regierung. Nur hat sich eben
die Weltöffentlichkeit, die mit Europa beschäftigt war, bisher nicht
dafür interessiert. Doch das ändert sich gerade.
Die
US-Regierung scheint seit Monaten sehr darum bemüht zu sein, bis zur
Wahl keines der vielen gravierenden ungelösten und neuen Probleme (z.B.
Libor-Skandal/Rolle der Fed und Geithners) aufbrechen und an die
Oberfläche kommen zu lassen. Das Problem ist, dass die Oberfläche in den
USA ob der vor sich hin blühenden vielfältigen Probleme bereits munter
Blasen wirft. Deswegen wirken alle Bemühungen von Obama, Bernanke und
Konsorten, so zu tun als hätten sie alles im Griff und alles sei noch
immer grünen Bereich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zunehmend
auf eine ihre weltweite Autorität untergrabende Weise schräg.
Gerade
auch China, das sich seit Monaten einen nur mühsam kaschierten
Wirtschafts- und Währungskrieg mit den USA liefert, weiß um die Schwäche
von „Uncle Sam“ – und trägt selbst dazu bei wo es nur kann, obwohl das
Land selbst zu kriseln begonnen hat und in der KP-Führung offensichtlich
seit Monaten ein heftiger Machtkampf um die Neubesetzung des Politbüros
tobt. (6)
Nicht zu übersehen sind auch die Spannungen zwischen den USA und
Großbritannien wegen ihrer jeweiligen Global Player unter den Banken im
Zuge aufgedeckter Skandale – Libor-Skandal (Barclays), Geldwäsche (HSBC)
und verbotener Iran-Transaktionen (Standard Chartered). (7)
Kurzum: Es scheint also viel davon abzuhängen, was in den USA in den kommenden Wochen geschieht.
Doch
die USA haben wie die Europäer – und zwar parteiübergreifend – keine
klare und überzeugende Vorstellung davon, wie die Krise überwunden
werden kann. Bedenkt man zudem, dass der republikanische Kandidat Mitt
Romney angesichts der bestehenden und, realistisch betrachtet, wieder zu
erwartenden politischen Pattsituation ebenso wenig wie Obama
ausreichend Kraft und Macht haben dürfte, um eine echte Wende in den USA
zu bewirken, dann ist es – zumindest mit Blick auf die
Krisenbewältigung – eigentlich nicht ausschlaggebend wer die Wahl
letztlich gewinnt. Und gleich nach der Wahl steuert die US-Titanic auf
das „fiscal cliff“ zu, das heißt auf automatische Etatkürzungen und
Steueranhebungen ab Anfang 2013 für den Fall, dass sich die Abgeordneten
und Senatoren beider Parteien zuvor nicht doch noch auf ein
Sparprogramm einigen können.
Was also entscheidet sich mit der US-Wahl?
Vielleicht
ist es die simple Frage, ob und inwieweit die mühsam aufrechterhaltene
Fassade der USA als global führender Wirtschaftsmacht nach der Wahl noch
Bestand haben wird?
von Stefan L. Eichner
Kontakt: eichner@web.de
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